Eines der Alleinstellungsmerkmale einer EWIV ist, dass sie ihren Sitz nicht nur innerhalb des Sitzstaats, z. B. in Deutschland von Hamburg nach München, verlegen kann, sondern dass sie ihn auch grenzüberschreitend ändern kann. In Frage kommen die insgesamt 27 Staaten der EU sowie drei der EFTA (Liechtenstein, Island, Norwegen), mithin also der gesamte Europäische Wirtschaftsraum (EWR).
Wie aber geht das im Detail?
Man braucht zunächst Einstimmigkeit zwischen allen Mitgliedern der EWIV, also nicht nur zwischen denen, die zur Mitgliederversammlung kommen bzw. dort vertreten sind, sondern aller Mitglieder überhaupt.
Art. 13 der EWIV-Verordnung (VO) sieht vor, dass „der Sitz der Vereinigung … innerhalb der Gemeinschaft [Anm.: gemeint ist hier mittlerweile der EWR] verlegt werden (kann)“. Wenn diese Verlegung im rein nationalen Rahmen erfolgt, gilt das, was im EWIV-Gründungsvertrag (auch: EWIV-Vertrag, Statuten, Satzung) dazu steht; wenn dort nichts dazu steht, ist in jedem Fall von einer Änderung des Gründungsvertrags auszugehen, weil dort der bisherige Sitz angegeben ist. Derartige Änderungen sind einstimmig zu beschließen (Art. 17 Abs. 2 g EWIV-VO). Anders bei einer Bestimmung wie z. B.: „Die Sitzverlegung innerhalb eines Sitzstaats kann mit Mehrheit [oder 2/3-Mehrheit, oder ähnlich …] in einer Mitgliederversammlung beschlossen werden“.
Es ist übrigens unzulässig, eine EWIV an einen Sitz außerhalb der EU/des EWR zu verlegen. Sie kann dort allerdings eine Filiale aufmachen, muss dann aber damit rechnen, dass diese als ausländische Betriebsstätte mit entsprechenden steuerlichen Konsequenzen angesehen wird. Außerdem muss dies in dem Drittland auch rechtlich zulässig sein, was durch die Gesetzgebung dieses Drittlands bestimmt wird.
Die EWIV-VO spricht nicht von einer Verlegung des Sitzes zwischen EU- oder EWR-Mitgliedstaaten (die EFTA-EWR-Staaten traten dem EU-Binnenmarkt erst 1996 bei; die EWIV-VO wurde aber schon 1985 in Kraft gesetzt), sondern von einem „Wechsel des anwendbaren Rechts“ (Art.13 S. 2 EWIV-VO). Dies deshalb, weil Großbritannien darauf Rücksicht nehmen musste, dass die Sitzverlegung zwischen Schottland, Nordirland, Wales und England jeweils unterschiedlichem Gesellschaftsrecht gehorchte. Zwischenzeitlich ist dies jedoch unerheblich, weil Großbritannien den Brexit vollzog und somit dort grundsätzlich kein EU-Recht mehr gilt.
Art. 14 Abs. 1 EWIV-VO spricht bei einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung von der Notwendigkeit eines „Verlegungsplans“. Dies ist nichts anderes als eine bindende Absichtserklärung für die Verlegung, also kein langer und komplizierter Plan, sondern eine öffentliche Erklärung zum Gläubigerschutz (Damit soll z. B. „treaty shopping“ vermieden werden, also das ständige Wechseln des Sitzes einer Firma immer kurz vor Zugriff der Gläubiger). Ein solcher Verlegungsplan muss nicht begründet werden, sondrn muss nur den zukünftigen Sitz und die Geschäftsadresse sowie den Zeitpunkt, wann dies geschehen soll beinhalten. Ein solcher Verlegungsplan könnte ungefähr so lauten:
- „Verlegungsplan gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 1 EWIV-VO:
Die Mitglieder der …. EWIV treten am …. in …. zu einer Mitgliederversammlung zusammen. Alle Mitglieder sind anwesend: <es folgt eine Mitgliederliste, am besten auch eine unterzeichnete Anwesenheitsliste, bzw. bei virtuellen Mitgliederversammlungen eine Mitgliederliste, wo die Art der Mitwirkung vermerkt ist – also Telefonschaltung, ZOOM- o. ä. -Videokonferenz o. ä., dann unterschrieben vom Geschäftsführer>
Es wird einstimmig beschlossen:
Die EWIV hat ihren bisherigen Sitz in …. . Der Sitz soll zum …. <Datum nicht zu knapp kalkulieren!, mindestens 4-5 Monate> nach …… <Ort>/ …. <Land> verlegt werden.
Die zukünftige Geschäftsadresse soll sein; …. <Ort/Land>, ….. <Strasse/Hausnummer>
Unterschrift des Geschäftsführers“
Dieser Beschluss muss über einen Notar (in Deutschland) an das zuständige Handelsregister eingereicht werden. Dieses muss es dann veröffentlichen. Dieser Beschluss, oder Verlegungsplan, muss dann zwei Monate publik sein – eine der wenigen Publizitätspflichten einer Handelsregister-Veröffentlichung für EWIV, danach kann dann der eigentliche Verlegungsbeschluss gefällt werden. Vorsicht: Ein vorher gefasster Beschluss ist nichtig.
Der Verlegungsbeschluss, der ein eigener Beschluss sein muss und nicht zusammen mit dem Verlegungsplan eingereicht werden darf, könnte lauten wie folgt:
- „Verlegungsbeschluss gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 EWIV-VO:
(Erster Absatz wie oben im Verlegungsplan)
Es wird einstimmig beschlossen:
Die EWIV wird zum … <Datum wie oben im Verlegungsplan> an ihren neuen Sitz in …<Ort/Land> verlegt.
Die neue Geschäftadresse ist … <… Strasse/Hausnummer, Postleizahl/Ort,>
Unterschrift des Geschäftsführers“
Wie erwähnt, muss der Geschäftsführer dieses Dokument dann dem Notar vorlegen zur entsprechenden Beglaubigung oder Beurkundung.
Das (z. B. deutsche) Handelsregister gibt dann diesen Beschluss an das zukünftige Handelsregister weiter. Dieses trägt dann zum Verlegungsdatum den neuen Sitz bei sich ein und übersendet einen Auszug aus seinem Register entweder an das frühere Register, den Notar oder den Geschäftsführer direkt. Es empfiehlt sich, ggfs. „dahinter her zu sein“, damit auch alles vollzogen wird. Bisher gab es nur sehr wenige Sitzverlegungen von EWIV überhaupt. Jetzt dürfte auch klar sein, dass man hier mit einigen Wochen durchaus großzügig sein sollte, weil die Geschwindigkeit von Registern durchaus unterschiedlich sein kann.
Die Löschung der Eintragung am früheren Sitz muss eigens vom Geschäftsführer beantragt werden, und zwar unter Beifügung eines (beglaubigten) Auszugs aus dem neuen Handelsregister (ggfs. beglaubigt übersetzen lassen!). Erst dann wird die EWIV aus dem bisherigen Register ausgetragen. Wenn dies unterlassen wird, kann dies evtl. schmerzhafte Haftungsfolgen haben.
In einigen Ländern, z. B. Spanien, Irland (neu beigetretene Länder ab 2004 müsste man noch überprüfen), gibt es noch die Möglichkeit des Einspruchs staatlicher Stellen, wie z. B. Steuerbehörden, Sozialversicherungen usw. Dagegen muss aber immer ein Rechtsmittel gegeben sein, In Deutschland gibt es dies nicht – hier dürften der Geschäftsführer bzw. aufgrund gesamtschuldnerischer Haftung die hiesigen Mitglieder – persönlich haften.
Also im Grunde recht einfach und logisch, wenn man die oben beschriebenen Regeln bedenkt. Die EWIV kann also über nationale Grenzen springen. Eine andere Firma, z, B, eine GmbH, müsste erst liquidiert und dann wieder neu gegründet werden. Dies kostet Mühe, Zeit, Geld – vom Notar über gerichtliche Austragungs- und Eintragungsgebühren bis ggfs, zum nötigen Stammkapital, das neu nachzuweisen ist, sowie ggfs. ein schlechtes Image, das dann aber völlig unberechtigt wäre.
Somit ein echter Vorteil für EWIV. Und auch wenn man nicht umsiedeln will: Man weiß nie, was einem Geschäftsführer widerfährt, und man sollte daher diese EWIV-typische Möglichkeit kennen.
Hans-Jürgen Zahorka
Das Europäische EWIV-Informationszentrum beabsichtigt in diesem Jahr zu diesem Thema eine ZOOM-Videokonferenz abzuhalten – ohne Berechnung für die Teilnehmer. Hinweise zum Termin auf www.ewiv.eu sowie in diesem Blog.